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Beitrag vom 24.04.2013
Verleihung der Louise-Schroeder-Medaille 2013 an Jenny De la Torre
AVIVA-Redaktion
Die in Berlin praktizierende Ärztin für obdachlose Menschen erhielt den Preis als Persönlichkeit, die mit ihrem Engagement an das politische und persönliche Wirken seiner Namensgeberin anknüpft
Jenny de la Torre wurde 2013 auf Vorschlag des Kuratoriums "Louise-Schroeder-Medaille" unter dem Vorsitz von Senatorin a.D. Ingrid Stahmer und auf Beschluss des Präsidiums des Abgeordnetenhauses mit jenem Preis ausgezeichnet, der 1998 auf Anregung von Parlamentarierinnen des Abgeordnetenhauses von Berlin gestiftet wurde. Parlamentspräsident Ralf Wieland verlieh der Ärztin die Medaille am 30. April 2013 im Rahmen einer Feierstunde im Abgeordnetenhaus. Die Laudatio auf die Preisträgerin hielt die einstige Berliner AusländerInnen-Beauftragte Prof. Barbara John.
Die Preisträgerin
Jenny De la Torre wurde 1954 in Peru geboren und studierte dort und später in Leipzig Medizin. An der Charité absolvierte sie in den 80er Jahren eine Fachärztinnenausbildung zur Kinderchirurgin. Von 1994 bis 2003 praktizierte sie als Ärztin für Obdachlose in Berlin. Im Interview mit AVIVA-Berlin (2003) sprach sie auch über ihre Grenzen: "Schlimm ist vor allem die eigene Ohnmacht, nicht so helfen zu können, wie ich gerne möchte. Ich spüre schon öfters meine Grenze. Aber ich sage mir immer wieder, man sollte versuchen, aus sich selbst das Maximale für den Patienten herauszuholen, ohne ihn zu überrumpeln."
2002 gründete die Preisträgerin die Jenny De la Torre-Stiftung, deren Ziel es ist, niedrigschwellige und unbürokratische medizinische Hilfe und Betreuung für wohnungslose Menschen in Berlin zu bieten. Mit dem Geld aus der Stiftung kann am 6. September 2006 das Gesundheitszentrum für Obdachlose in der Pflugstraße 12 in Berlin-Mitte eröffnet werden, dessen Leiterin De la Torre bis heute ist. Dort werden wohnungslose Frauen und Männer nicht nur ärztlich behandelt, sie erhalten auch Kleidung und Essen und können psychologische und juristische Beratung erhalten. Der Ausbau des Gesundheitszentrums mit ÄrztInnenpraxis, Zahn- und Augenheilkunde, Waschräumen, Kleiderkammer und Suppenküche erfolgte mit Spenden. Das Gesundheitszentrum mit diesem Spektrum konkreter Hilfsangebote für wohnungslose Frauen und Männer ist bundesweit einzigartig.
"Wir können nur eine gerechtere Gesellschaft aufbauen, indem wir sie menschlicher gestalten. Das wird nur möglich, wenn wir in diesem Sinne etwas verändern. Kein Paradies, aber eine Welt, in der jeder Mensch das Gefühl hat, ein Mensch zu sein," fasst De la Torre ihre Überzeugung zusammen. Aufgrund ihres Engagements wurde die promovierte Ärztin bisher u.a. mit dem Bundesverdienstkreuz und dem Großen Verdienstorden des Diplomatischen Dienstes der Republik Peru "José Gregorio Paz Soldán" ausgezeichnet.
Die Begründung des Gremiums
Das Kuratorium führt unter anderem aus: "Die Ärztin und Gründerin eines Gesundheitszentrums für Obdachlose, Frau Dr. Jenny de la Torre, trägt dem politischen, sozialen und persönlichen Vermächtnis Louise Schroeders in besonderer Weise Rechnung. Durch ihr außergewöhnliches Engagement für wohnungslose Frauen und Männer in Berlin und weit darüber hinaus macht sie sich jeden Tag um Demokratie, Frieden, soziale Gerechtigkeit und die Gleichstellung von Frauen und Männern verdient und trägt dazu bei, dass die Schwächsten in unserer Gesellschaft nicht aus dem Blick geraten, sondern aktive Hilfe und eine Perspektive bekommen. (...) Sie ist davon überzeugt, dass unsere Gesellschaft nur dann in Frieden leben und sich als Demokratie entfalten kann, wenn auch die Schwächsten ihre Würde behalten und ihnen geholfen wird, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Diese Überzeugung ist das leitende Motiv der Arbeit von Frau Dr. Jenny de la Torre und dies war auch Grundlage des sozialpolitischen Engagements Louise Schroeders."
Die Namensgeberin
Louise Schroeder (02.04.1887 bis 04.06.1957) hat sich zeitlebens durch unermüdliches soziales Engagement und durch das Eintreten für die Gleichstellung von Frauen ausgezeichnet. Ihr Name ist untrennbar mit dem Einsatz für Demokratie, für die Teilhabe von Frauen an der Politik und für das Engagement gegen Ungerechtigkeit und Machtmissbrauch verbunden. Seit 1919 war sie Parlamentarierin und von Mai 1947 bis Dezember 1948 Oberbürgermeisterin von Berlin. Sie hat sich bleibende Verdienste um die Stadt erworben und mit ihrer mutigen Amtsführung zur Linderung der großen Not im Nachkriegsberlin beigetragen.
Weitere Informationen:
Zur Louise-Schroeder-Medaille, den bisherigen Preisträgerinnen und der Namensgeberin: www.parlament-berlin.de
Zur Jenny De la Torre-Stiftung: www.delatorre-stiftung.de
Artikel in der "ZEIT" Ärztin der Ungeduschten (2010)
Artikel in der "Berliner Zeitung" Arztbesuch und Mittagessen (2012)
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:
Interview mit der Obdachlosenärztin Dr. Jenny De la Torre (2003)
Die dritte Haut. Geschichten von Wohnungslosigkeit in Deutschland (2006)
(Quellen: Abgeordnetenhaus Berlin, Jenny De la Torre-Stiftung)